Greifswald Tag&Nachmittag oder HGW17489 TEIL 1


Diesen Blogeintrag widme ich meiner kleinen feinen Studienstadt, meinem täglichen Leben dort und den ungeklärten Phänomenen, die jeder Einwohner hier kennt. 

Wenn ich gefragt werde, wo ich studiere, antworte ich nie mit einem bloßen „In Greifswald“. Meistens sage ich: „An der Ostsee in Greifswald“. Diese Antwort offeriert meinem Gegenüber nicht nur die Möglichkeit einer geografischen Einordnung, sondern rückt den Aspekt der Nähe zum Meer in den Fokus. In den seltensten Fällen ist Greifswald bekannt, manchmal wird behauptet man habe davon schon gehört. Mir sind in den letzten beiden Jahren die abstrusesten Einordnungen von Greifswald in Deutschland (oder nicht mal dort) begegnet. Eine kleine Auswahl: „Greifswald, liegt das nicht in Baden-Württemberg im Wald?“; „Dann bist Du ja bei Kiel in der Nähe, oder?“; „Das liegt doch direkt bei Berlin?“ – und nun mein Favorit: „Greifswald? Das ist aber dann schon in Polen, oder?“. Mittlerweile bin ich es gewohnt, dass man mit dem bloßen Namen der Stadt in den südlicheren Gefilden der Republik wenig anfangen kann, deshalb stets ergänzende Hinweise bei meinen Antworten. Für die, die jetzt erstmal Google Maps geöffnet haben, um zu schauen, wo Greifswald liegt: Kennt ihr Rügen? Da in der Nähe! Greifswald ist also in jeder Hinsicht ein Mikrokosmos, in dem sich ein eigenes funktionierendes Ökosystem gebildet hat. Ökosystem leitet mich auch schon gleich zu den ersten ungeklärten Phänomenen hin.

Wenn man sich die meteorologischen Kreisläufe in Greifswald anschaut, wundert man sich, dass die Stadt nicht viel bekannter ist. Vielleicht ist sie es ja unter Wetterforschern, ein Bereich in dem ich mich allerdings nicht auskenne, geschweige denn aufhalte. Von einem Kreislauf zu sprechen ist die nächste Schwierigkeit, denn dann müsste es schließlich erkennbare Muster in den Wetterzyklen geben. Gibt es nicht. Vor zwei Wochen saß ich in einer aufklarenden Philosophievorlesung. Bei Beginn dieser schien draußen die Sonne und der Himmel war nur von einzelnen Wolken gespickt. Nach kurzer Zeit war es vollkommen bewölkt. Wenig später fing es an zu regnen, dann zu hageln. Mein Blick richtete sich also wieder vermehrt gen Professor, da die Welt außerhalb des Raumes deprimierte. Plötzlich wurde der Raum erleuchtet und ich schaute doch wieder aus dem Fenster – strahlendblauer Himmel. Als die Vorlesung vorbei war, war die Straße nicht einmal mehr nass. Das Wetter in Greifswald lässt sich von der Beständigkeit her mit den Aussagen Donald Trumps im US-Wahlkampf vergleichen. Was vor einer Woche noch verhasst war, ist jetzt geliebt, wer eben noch Freund war, ist plötzlich Gegner und dann wieder Freund. Wertet das als mein Statement zur Wahl der Qual in den USA (Demokraten mit eingeschlossen). Das Hauptphänomen ist allerdings ein anderes. Wieder geografisch bedingt ist es in Greifswald durchgängig windig. Die Besonderheit hierbei ist: Es gibt in Greifswald keinen Rückenwind. In nun mehr über zwei Jahren Studienzeit in der Hansestadt hatte ich nicht einmal Rückenwind auf dem Fahrrad. Er existiert schlichtweg nicht. Selbst Menschen, die einem entgegen kommen, haben Gegenwind. Ihr seht, dass es sich hier um eines der letzten ungeklärten Phänomene der Menschheit handeln muss! Ich versuche von Zeit zu Zeit die physikalischen Gesetze der Stadt auszutricksen, in dem ich schnell wende – hoffnungslos. Überhaupt erinnere ich mich an wenig windfreie Tage. Bei meinem bisher einzigen Besuch eines Freundes aus der Heimat (Ich schätze, dass ungefähr 10-20 Freunde angekündigt haben auf jeden Fall mal vorbeizuschauen. Fühlt Euch hiermit ausgeladen! Ich bin im 6. Semester, das wird nichts mehr.) war es am heißesten Tag des Jahres natürlich windstill. Greifswald denkt sich eben für jeden seine ganz persönliche Ohrfeige aus. Soviel zur Meteorologie der Stadt.

Auch menschlich hat die Stadt jedoch einiges zu bieten. Die Spanne geht von übertriebener Freundlichkeit bis hin zu schau-mich-an-und-ich-bring-dich-um – eine ganz normale Stadt eben. Da ich mich ungerne über einzelne Personen echauffieren würde, versuche ich möglichst objektiv (keine Sorge, das ist ein Scherz) über Gruppen zu berichten. Die erste Gruppe, der ich mich widmen möchte, ist die der grundaggressiven Rentnerfraktion. Die ältere Generation Greifswalds hat für sich in der Regel einen großen Gegner ausgewählt: Alle anderen. Es nicht unüblich, dass wenn man eine/n Seniorin/-en mit dem Fahrrad überholt grundlos beleidigt wird. Was man genau verbrochen hat, wird einem nicht erklärt. Allgemein kann man noch die Eigenschaften des Vordrängelns in Supermärkten verbunden mit dem Rammen von Einkaufswagen in die Hüftgegend, plötzliche Richtungsänderungen und unvorhersehbare Gänge auf den Fahrradweg und sehr laute Gespräche an ruhigen Orten dieser Gruppe zuschreiben. Die nächste Gruppe ist die der Touristen. Die Touristen in Greifswald sind entweder alt oder kommen aus Polen. Sie laufen in großen Gruppen über den Marktplatz oder durch die Innenstadt. Mit Sicherheit werden sie jedoch mindestens einmal vor der Sparkasse und am Rubenowplatz stehen und andächtig um sich schauen. Vereinzelnd kristallisieren sich Rebellen heraus, die sich von der Gruppe entfernen. Mit einem Erkennungszeichen wie einer auffälligen Kappe oder dem Tragen eines Helmes (auch ohne Fahrrad) lassen sie sich leicht zuordnen. Die nächste Gruppe würde ich gerne nach dem Namen eines Stadtteils benennen. Aus Angst, dass jedoch jemals mehr als 20 Leute diesen Blog lesen und jemand aus diesem Viertel dabei ist, nenne ich sie einfachheitshalber Assis. In Greifswald haben sich die Assis auf eine Kleiderordnung geeinigt, damit die anderen Gruppen sie gleich erkennen können. Die Grundausstattung ist bei den männlichen Mitgliedern eine Trucker Cap, die man zu klein stellt und auf den Kopf legt, ein Pullover von Thor Steinar, Cordon Sport oder Uncle Sam’s und eine hellere Jeans, ergänzend befindet sich die Person auf einem Damenfahrrad und hört laut Musik. Das Outfit der Frauen ist schon schwieriger zu beschreiben, hier dominiert lediglich die Haarpracht das Aussehen. Frau färbt sich die Haare in einer Farbe, die so garantiert nicht in der Natur vorkommen kann. Zumindest nicht in Deutschland. Bevorzugte Farbwahl ist ein knalliges rot. Die nächste Gruppe in dieser kleinen Aufführung ist die der Studenten. Hier reicht die Spanne sehr weit, weswegen sich keine klaren Charakteristika zuordnen lassen. Es geht von links-pazifistischen Weltverbesserern in Klamotten aus Hanffasern bis hin zu Ich-komme-aus-Hamburg-oder-Berlin-und-mein-Papa-hat-sehr-sehr-viel-Geld. Ich würde mich natürlich in die Ecke der verzogenen eingebildeten arroganten unbeliebten Studierenden einordnen, nur dass man mir nicht unterstellen kann, ich würde mich hier nicht diskreditieren. Die letzte Gruppe in Greifswald ist die der Menschen, die ernsthaft einer geregelten Arbeit nachgehen. Mit anderen Worten: Keine Ahnung, was diese Gruppe kennzeichnet. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie keine Zeit haben in Cafés rumzusitzen oder durch die Innenstadt zu flanieren. Um die Länge hier nicht zu sprengen, erfolgen weitere Berichte aus Greifswald im nächsten Blogeintrag.

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