„Ne,
die Scheiße kann ich nicht.“
Mein Aufenthalt in der Heimat
ergab genug Material für drei Blogeinträge. Jedoch wäre der
Wiedererkennungswert einzelner Personen, die diesen Blog lesen so hoch, dass
ich mir elegant meine wenige Leser verspielt hätte. Meine Hoffnung, dass mein
treuster Geschichtenlieferant, die Deutsche Bahn, einspringt, bewahrheitete
sich. Auch die Strecke war die übliche, von Frankfurt am Main nach Greifswald
an der Ostsee.
Aus zeittaktischen Gründen war
ich vor meiner Fahrt bei meinen Großeltern in Frankfurt frühstücken und habe
von dort aus meine Reise angetreten. Der erste kleine Stimmungsdämpfer war der
Regen, der zeitgleich mit dem Verlassen des Hauses einsetzte. Ich wurde zu
einer U-Bahn-Haltestelle gefahren. Angekommen musste ich feststellen, dass
sämtliche Fahrkartenautomaten nicht funktionstüchtig waren und ich überprüfte
hastig mein Bahnticket, das ich dieses Mal nur digital in der „DB Navigator“
App hatte. Beruhigung. Mein Ticket galt für „City + Rail“, alles easy also. Die
U5 kam mit akademischen zehn Minuten Verspätung und war erstaunlich voll. Noch
erstaunlicher war, dass wirklich Kontrolleure einstiegen auf der kurzen Strecke
zum Hauptbahnhof. Eine Dame in den Fünfzigern mit rötlichen garantiert
naturgelockten Haaren kontrollierte gelangweilt Fahrkarten. Bei mir angekommen
streckte ich ihr mein Handyticket entgegen, in Form eines QR-Codes. Sie schaute
auf mein Handy, schaute mich an und nuschelte dann „Ne, die Scheiße kann ich
nicht.“. Ich packe mein Handy weg, sie geht weiter, am Hauptbahnhof steige ich
aus.
Der ICE ist pünktlich und ich
habe wieder die Hoffnung, dass dieses Mal auch alles glattgehen wird. Da ich
seit Beginn meiner Studienzeit als kleiner Bahnfahrer-Bohème auf
Sitzplatzreservierungen verzichte, muss ich schnell einen freien ergattern oder
mich mit dem Gang zufrieden geben. Kleiner Fun-Fact am Rande: Auf meiner Fahrt
von Greifswald nach Frankfurt saß ich vier Stunden vor der Toilette. Ich finde
zwei Plätze, die zumindest erst ab Göttingen reserviert sind und lasse mich
nieder. Wir fahren knappe zwanzig Minuten als sich ein sehr kleines Mädchen
neben mich stellt. Ich schätze sie auf zwei Jahre. Sie strahlt mich an und
klettert auf den freien Platz neben mir. Das bloße Klettern ist schon mit
erstaunlichen körperlichen Anstrengungen verbunden und als sie es geschafft hat
freut sie sich noch mehr. Da kommt ihre Schwester dazu, die ich als
untalentierter Altersschätze mit vier Jahren taxieren würde und strahlt mich
ebenfalls an. Nie wurde ich so schnell als großer Bruder akzeptiert. Ich
überlege mir, ob ich etwas sagen soll, lächle dann nur etwas treu doof die
beiden Mädchen an. „Ludmilla, unsere Plätze sind hier hinten!“. Ludmilla ist
die kleinere von beiden und weigert sich zunächst vorbildlich ihren neugewonnen
großen Bruder im Stich zu lassen. Die Rufe werden lauter, Ludmilla schaut mich
traurig an, Ludmillas Mutter kommt angelaufen und zieht sie weg. Meine beiden
kleinen Eine-Minute-Schwestern sind aus meinem Leben verschwunden. In Fulda
setzt sich eine sympathisch aussehende Frau Mitte/Ende 20 mit sehr kurzen
Haaren neben mich. Sie strahlt mich zwar nicht so an wie Ludmilla, grüßt aber
immerhin. „Ah scheiße, die sind ja reserviert.“, „Erst ab Göttingen!“ gebe ich
fröhlich zurück. Der antwortende Blick meiner neuen Sitznachbarin ist nicht so
fröhlich wie mein Hinweis und sie schaut den Stuhl vor sich an. Olfaktorisch
hat sie unsere zwei Plätze in Windeseile in eine kleine, aber feine Rauchkneipe
verwandelt und ich atme tief durch, als sie sich auf Sitzplatzsuche im hinteren
Teil des Zuges begibt. Nach geraumer Zeit kommt sie enttäuscht wieder. In
Göttingen stehen wir beide auf und ich sage mit etwas zu viel Heldentum in der
Stimme „Ich suche uns dann zwei neue Plätze!“. Auf das Glück der Leichtsinnigen
ist Verlass und schon im zweiten Abteil finden sich zwei freie Plätze. Ich lege
den „Was ich sage, halte ich auch“ Blick auf und lasse ihr den Vortritt.
Fortan rasen wir Richtung Berlin in einem buntgemischten Abteil, in dem niemand
auch nur ein Wort sagt. Lediglich ein etwas kräftiger Mann am Fenster bekommt
einen Anruf von Tanja. Er versucht ihn satte fünf Mal zu beenden, bevor auch
Tanja endlich verstanden hat, dass er in einem Abteil nicht über
Beziehungsprobleme reden möchte. Ich bin etwas enttäuscht. Ohne Zwischenfälle
geht es in die Hauptstadt. Ausgestiegen trifft mich eine Wand der Kälte. Ich
vermute zunächst, dass ich nur aufgeheizt bin vom stickigen Abteil und rechne
mit einer baldigen Akklimatisierung meines Körpers. An meinem Gleis angekommen,
bemerke ich, dass ich langsam anfange zu zittern und ich schaue auf meinem
Handy in die Wetterapp: -7 Grad. Ich schließe die App wieder und öffne sie
erneute. Das gleiche Ergebnis. Vielleicht sollte hier erwähnt werden, dass es
in Frankfurt +7 Grad waren und ich nur eine leichte Bundeswehrjacke anhatte.
Eine etwas peinliche Umziehaktion folgt bevor ich zu Burger King flüchte und
mich aufwärme.
Das Gleis war gerammelt voll
als ich ankomme, um auf meinen Anschlusszug zu warten. Auch dieses Mal habe ich
Glück und bekomme direkt einen Sitzplatz. Drei Reihen vor mir hat sich eine
Gruppe Polen eingerichtet, die aus Berlin reichlich Alkoholversorgung
mitgebracht haben. Bis Angermünde ist es also eine laute feuchtfröhliche Fahrt.
Ich schalte derweil meinen Laptop ein und schaue einen Film. Sehr zum Leidwesen
meiner Sitznachbarin, die respektabler Weise versucht zu lernen. Falls Du das
hier liest, nichts für Ungut! An meiner Angermünde-Gedächtnisstelle fährt der
Zug auch weiter und die gesamte Bahnfahrt läuft pünktlich ab. Vielleicht sollte
ich diese Woche Lotto spielen bei meinem Glück.
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