Nummer sicher

Wie könnte es anders sein, stellt auch dieser Beitrag die Deutsche Bahn in den Mittelpunkt. Die Fahrt stammt aus dem Mai vergangen Jahres und es wurde nicht an skurrilen Mitfahrern gegeizt.

Alteingesessene Fans wissen, dass meine übliche Verbindung zwischen Greifswald und Frankfurt entlangführt. Nun zwei Schockmomente: 1. Ich wohne nicht mehr in Greifswald! 2. Die Fahrt führte mich von Greifswald nach Kiel. Die Strecke unterscheidet sich, neben den offensichtlichen geografischen Differenzen, um ungefähr 450km Distanz oder in der Deutsche-Bahn-Einheit: zwei Stunden. Es gibt, zugegeben, auch bessere Verbindungen als die von mir gewählte, aber wie kompliziert und umständlich die Zugführung ist, begeistert dann doch selbst erprobte Bahnfahrer. Meine Umstiege: Greifswald-Stralsund; Stralsund-Rostock; Rostock-Bad Kleinen; Bad Kleinen-Lübeck; Lübeck-Kiel.

Meine Reise beginnt dieses Mal mit dem Bus, der Linie 2, zum Greifswalder ZOB. Der Bus biegt dynamisch mit fünf Minuten Verspätung in die Haltestelle ein und meine überdimensionierte Sporttasche macht den Einstieg zu einem Kabarettstück. Ich bleibe zunächst an der Fahrertür hängen, dann passe ich nicht durch den Einstiegsbereich, nur damit nach dieser Hürde der Bus anfährt und ich durch den kompletten Gang stolpere und einen Mann mit meinem Rucksack treffe. Scusi, ein hasserfüllter Blick, ich will endlich Bahn fahren mit Sitzplatzreservierung. Der Moment der Peinlichkeit schwebt noch in der Luft, da dringen beruhigende Worte an meine Ohren. Eine ältere Dame beruhigt Lisa, ihre Katze. Diese befindet sich wohl auf dem Weg zu einem Tierarzt und rebelliert in ihrer kleinen Box erheblich. Die Frau tut das einzig sinnvolle in der Situation und beginnt leise „Für mich, soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef zu singen. Das Musikantenstadl erreicht wenig später den Bahnhof. Die UBB (Usedomer-Bimmel-Bahn) fährt gerade ein und ich streichle sanft den grün blinkenden Türöffner, endlich wieder zu Hause. Mein Frieden hält keine Minute, eine Grundschulklasse betritt mein Abteil. Die Erzieherinnen scheinen noch nicht genug Hektik und Chaos an ihrem Ausflugstag zu verspüren und wechseln in den zwanzig Minuten Fahrt nach Stralsund zwei Mal das Abteil. Beziehungsweise kehren sie zurück. In dem anderen Abteil hat, Zitat eines Vierjährigen: „Ein Mann nach Pups gerochen.“, verständlicher Wechselgrund. Derweil sind es herbstliche 16 Grad im Wagon und alle frieren.

In Stralsund gibt es dann ein gewohntes Ritual, das der Bahnfahrer kennt. Das Gleis ist spärlich gefüllt, zwei Rentner stellen sich trotzdem in minimalem Abstand (In der jetzigen Zeit undenkbar!!!) direkt vor mich. Als der Regionalexpress einfährt wird gedrängelt, die fehlende Möglichkeit der Sitzplatzreservierung wird mir in jedem Moment bewusster. Beim Einsteigen umhüllt ein sanfter Biergeruch meine Nase, ich suche nach dem Ursprung, entdecke jedoch nur eine telefonierende Frau, die in diesem Moment „Halt Deine Fresse“ ins Telefon brüllt. Ich reise, wie immer, mit der Hautevolee. Der Zug ist relativ leer und ich schaffe es mit traumwandlerischer Präzision mich hinter der Quelle des Biergeruchs zu positionieren. Ein Mann mit geschlossenen Augen hält liebevoll eine Dose Lübzer in seinen Händen. Er fasst es sicher, er hält es warm. Der Kontrolleur betritt derweil bedrückend gut gelaunt den Wagon. Eine Kegel-Reisegruppe (Ich weiß natürlich nicht, ob sie wirklich eine Kegelgruppe sind.) ist während ihrer Kontrolle fassungslos über die Bahnverbindung, sie müssen zwei Mal umsteigen. Ich kann nur milde lächeln wie ein Heimkehrer aus dem Krieg, dem diese Schulhofschubserei mit meinen vier Umstiegen nichts anhaben kann. Die Zugdurchsagen zu jeder der vierhundertachtunddreißig Haltestellen klingen, als wären sie Teil eines Vorlesewettbewerbs aus der Grundschule. Ein Hund bellt in der Ferne, ein „Halt die Klappe!“ echot zurück, Haltestelle Altenwillershagen verhaspelt es aus den Lautsprechern. Ich hole mein Buch heraus, just in diesem Moment ergibt sich jedoch die Möglichkeit eines Live-Hörspiels in unmittelbarer Nähe. Ein offensichtlich angetrunkener Mitfahrer beginnt von seinem bevorstehenden Knastaufenthalt zu erzählen. Auch wenn sich seine Weisheiten wie Mantras wiederholen: „Da lernt man dann erst wie man richtige Crimes machen kann.“ Oder „Ist schon schei*e, aber dann ist Hofgang wie Urlaub.“; schiebt er spitzfindig immer wieder ein, dass diese Expertise ihm einen großen Vorteil im Gefängnis verschaffen wird. Der Zug hält in Ribnitz-Damgarten West, das Aussehen des Profi-Häftlings interessiert zunehmend. In Rostock dann eine Enttäuschung vergleichbar mit dem Ende von Lost, der Profi-Häftling ist höchstens 15 und die Verbrechen, die ich ihm zutraue bewegen sich zwischen dem Diebstahl von Kaugummis und dem Bekritzeln eines Klohäuschens.

Die Strecke zwischen Rostock und Bad Kleinen wird dann von einem nervigen Geschwisterpaar vertont, das schräg versetzt über den Gang zu mir sitzt. Sie sind zwischen 18 und höchstens 21 Jahren und es reicht völlig aus Versatzstücke ihres Dialogs wiederzugeben: „Heute Abend ist Italiener mit Papa, oder?“, „Ja, da gibt es dann wieder komischen Schinken und Käse.“, „Nimm doch Pizza Salami.“, „Ne, ich gehe Nummer sicher, Margarita.“. In diesem Moment habe ich entschieden, dass für einen Toilettengang nun der richtige Zeitpunkt ist. Zu schwer wiegt die Kritik an der bella nazione. Auf dem Rückweg stolpere ich über ungeahnten Reichtum, es liegen drei Euro verteilt auf dem Gang. Der Besitzer ist leider schnell gefunden, ein schlafender Mann, wieder mit einem Bier in der Hand. Ich wecke ihn und gebe ihm das Geld, er lallt ein „Danke“, wenig später höre ich wieder wie Münzen auf den Boden fallen. Das Geld liegt auf den Bahngängen. Das Geschwisterpaar verliert sich währenddessen in Zukunftsplanungen. Dabei kann in Spiel-des-Lebens-Manier daraus gewählt werden, ob man entweder ein großes Unternehmen, eine großes Haus oder aber ein großes Auto haben will. Warum man genau zwei der genannten Möglichkeiten wählen darf, bleibt ihr Geheimnis. Ich bin versucht einzuwerfen, dass ihre verwendete Grammatik eher ein kleiner Mietwagen ist, unterlasse es jedoch. Kurz vor Bad Kleinen (Das RAF-Bad-Kleinen) stellt sich heraus, dass der Junge im zweiten Semester Jura studiert, aber bisher alle Prüfungen geschoben hat. Die Grundlage für einen erfolgreichen Unternehmer scheint also gelegt zu sein. „Ah shit, ich muss noch zum Frisendoktor.“, es ist der letzter Satz, den ich höre bevor ich zu Gleis drei schlendere. Auf dem Rest der Fahrt gelingt es mir, leider möchte man sagen, zu lesen. Die Deutsche Bahn will mich einfach nicht gehen lassen.

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