„Na, mein Hübscher?“


Nachdem ich im Oktober noch das große Liebes-Aus zwischen der Deutschen Bahn und mir verkündet habe, muss ich heute zwei Dinge zugeben: 1. Ich fliege zu wenig, als dass eine Airline der Bahn wirklich den Rang ablaufen könnte. 2. Die Bahn liefert immer noch die besten Geschichten.

Hinfahrt: Um kein Risiko einzugehen, mögliche Kuriositäten zu verpassen, wählte ich die altbekannte Strecke von Greifswald über Berlin nach Frankfurt am Main. Treue Leser wissen, dass ich diese Verbindung aufgrund der Dörfer, die durchfahren werden gerne als mittelschwere Depression bezeichne. Zumindest der Streckenteil zwischen Greifswald und Berlin lässt einen tief in die Ostdeutsche-Seele blicken und dort ist es dunkel. Genug des Osten-Bashings. Mein IC (Ich tue mittlerweile alles, um den Regionalexpress zu vermeiden) fährt zu der sportlichen Zeit 7.29 Uhr. Ich stehe in Winterjacke am Bahnhof und bin ausnahmsweise nicht eine halbe Stunde zu früh da, mein Zeitmanagement wird nach über drei Jahren Streckenerfahrung langsam besser. Der Zug ist pünktlich, ich lasse gönnerhaft anderen den Vortritt beim Einsteigen und setze mich auf meinen reservierten Platz. Die Bahn macht es einem leicht, sich besser zu fühlen als andere Mitreisende. Schräg gegenüber von mir setzt sich eine Mutter mit ihrem Sohn hin und einer weiteren Dame. Die Mutter ist um die 60, der Sohn ca. Mitte 30, die andere Dame entpuppt sich später als Schwester der Mutter. Der Zug fährt noch nicht, da holt der Sohn einen Laptop raus, auf dem vermutlich Windows 95 läuft. Ich bin mir relativ sicher, dass es mittlerweile Rasenmäher gibt, die flacher sind als sein Notebook. Zwischen dem Dreiergespann entsteht ein munteres Gespräch, das nur ab und an vom Klingeln eines Smartphone des Sohnes unterbrochen wird. Er hat sich zudem kapital beim Rasieren geschnitten, anders will ich mir den Klopapierstreifen an seiner Wange nicht erklären. Nachdem die Mutter der Tante erzählt, dass sie ein neues Auto möchte – etwas kleines, ein Golf oder so – schaltet sich der Sohn ins Gespräch ein und schlägt ein Elektroauto vor. Fortan wird über Elektroautos debattiert mit einem gesunden Halbwissen, in dem so ein Auto auch gerne mal über 1000km Reichweite hat. Ich schaffe es derweil in einen Halbschlaf zu gleiten. Geweckt werde ich von einem erneuten Telefonat, diesmal allerdings von einem Herrn, der hinter mir sitzt und mir bisher nicht aufgefallen war. Er schafft es in ein zweiminütiges Gespräch zwölf Mal das Wort „Schatzi“ einzubauen. Eigentliches Highlight ist allerdings der Beginn des Telefonats: „Hallo Schatzi, ja Schatzi, ich bin bald in Berlin. Schatzi, hol mir doch mal meinen kleinen Hund ans Telefon. Ahh, da ist er ja, na Du, ich vermisse Dich, ja ich vermisse Dich auch. Ich komme morgen schon wieder mein kleiner Stern.“. Ich schaue kurz über die Schulter, ob er nicht eventuell doch sykped oder facetime benutzt, aber Fehlanzeige. Sein kleiner Hund und er können anscheinend miteinander auf Hochdeutsch durch ein Telefon perfekt kommunizieren. Ich bin neidisch und will auch einen Hund anrufen.

In Berlin ist es deutlich wärmer als an der Ostsee und ich komme mir in meiner Winterjacke sehr dämlich vor und tausche sie gegen ein dünneres Modell aus. Dank eines ausgeklügelten Fahrplans habe ich über eine Stunde Aufenthalt in Berlin. Ich will mich raus in die Sonne setzen. Hinter der Tür werde ich von einer Zeitungsverkäuferin abgepasst, die mir ein Obdachlosenmagazin andrehen möchte, ich verneine höflich. „Na, mein Hübscher, Du willst doch eins.“. Ich verneine wieder höflich und beschleunige meinen Schritt. „Dann bist Du nicht mehr mein Hübscher!“ ruft sie mir hinterher, mein Herz bricht. Ich nehme auf einer der Steinbänke vor dem Hauptbahnhof in der Sonne Platz und beobachte die Szenerie um mich herum während ich ein überteuertes belegtes Brötchen (Shout out an die Bäckerei Camps!) esse. Eine französische Schulklasse ist offensichtlich gerade in Berlin angekommen und beginnt Gruppenfotos zu machen, auf denen man im Hintergrund die Glasfassade des Bahnhofs sehen kann. Zwei Junkies, die offensichtlich nicht ganz genau wissen, auf welchem Planeten sie sich befinden, laufen durch das fünfte Gruppenfoto. Die Schulkasse ist belustigt und schaut den beiden hinterher. Die laufen unbeirrt weiter und pissen an einen Bauzaun. Den betreuenden Lehrern entgleitet die Situation, die Handykameras drehen Richtung Zaun. Nach ereignisarmen weiteren 40 Minuten begebe ich mich zu meinem Gleis, immerhin hier bin ich 15 Minuten zu früh. Als der ICE einfährt gibt es ein heftiges Gedrängel vor den Türen und ein Mann schiebt sich gewaltsam noch zwischen mich und die Tür als ich gerade einsteigen wollte. Ich lächle ein wenig abschätzig als er sich umdreht, schließlich habe ich eine Sitzplatzreservierung und solche Spielereien nicht nötig. Als Dank, dass er sich noch an mir vorbeidrängeln konnte, zieht er seine Schuhe aus sobald wir losfahren. Es entsteht ein Geruch, den der Schweizer als feinen Greyerzer beschreiben würde, die Frau neben ihm täuscht einen Hustenanfall vor, der Mann bleibt emotionslos und zieht seine Socken auch noch aus. Der ICE rast Richtung Frankfurt und ich komme auf die Minute pünktlich an. 

Rückfahrt: Vor der Rückfahrt nach Greifswald herrscht reges Treiben am Frankfurter Hauptbahnhof. Der Hacker-Angriff der vergangenen Nacht hat alle Anzeigetafeln lahmgelegt. Überforderte Bahnangestellte, Mütter mit Kindern an der Hand, jetzt schon oder noch betrunkene Kegelclubs und Männer in Anzügen rennen durcheinander scheinen um die Wette zu brüllen. Ich schlendere Dank meines unerschütterlichen Vertrauens in die Deutsche Bahn und ihre Fähigkeiten zu dem Gleis, das auf meinem Handyticket steht. Dort kommt mir eine ganze Schar Menschen entgegen. Ich laufe weiter. Babys schreien, Großeltern versuchen ihr Handy zu bedienen, ich beziehe Stellung beim Buchstaben F. Die Bahn enttäuscht mich nicht. Es sind zwar alle Züge, die von diesem Gleis vor meinem abfahren sollten, ausgefallen meiner ist jedoch pünktlich. Kein Gedränge, kein abschätziges Lächeln, ich finde direkt meinen Platz, neben mir sitzt ein Mann, der offensichtlich eine harte Nacht hinter sich hat. Ich bete kurz, dass er vielleicht nur bis Fulda oder Kassel mitfährt, daraus wird jedoch nichts. Eine Mischung aus letzter Korn um 5 Uhr morgens und ein wenig Schweiß steigt in meine Nase, „männlich!“ denke ich mir und fange an eine Aufgabe für ein Uni-Seminar an meinem Laptop zu erledigen. Mein Sitznachbar ist bis auf den Geruch unauffällig, nach kurzer Zeit beginnt er Star Wars auf seinem Macbook zu schauen. Ich schaue unweigerlich mit, Adé Uniaufgaben. Zwei Reihen vor uns auf der rechten Seite sitzt in einer Vierer-Sitzgruppe eine ältere Dame, die man als hochgradig anstrengend beschreiben könnte. Alle fünf Minuten möchte sie raus, klinkt sich ungefragt in Gespräche ihrer Mitfahrer ein und kommentiert auch sonst alles, was passiert. Ich hätte fast „Wir versuchen hier Star Wars zu schauen!“ gerufen, unterlasse es jedoch, damit meine Tarnung nicht auffliegt. Kurz vor Berlin stellt das Vierer-Abteil gegenüber fest, dass ein Mann seit mehreren Stunden nicht mehr an seinem Platz war, sein Rucksack aber noch daliegt. Eine junge Frau schlägt vor hineinzuschauen, doch bevor sie ausreden kann, funkt die anstrengende Frau dazwischen „Um zu schauen, ob eine Bombe drinnen ist?“. „Ich meinte eigentlich, um nach einem Personalausweise zu schauen.“. Das Vierer-Abteil lacht, die junge Frau lacht, die anstrengende Dame lacht hysterischer als alle anderen. In Berlin angekommen, habe ich wieder eine Stunde Aufenthalt und ich setze mich in den Bahn-Lounge-Bereich des kleinen Mannes. Es ist eine mit Glasscheiben abgetrennte Sitzgruppe, kontrolliert, ob man wirklich ein Ticket hat, wird nicht. Zu mir gesellt sich ein äußerst gut gekleideter älterer Herr, der höflich grüßt und sich gegenüber meines Platzes niederlässt. Er holt aus seinem Weekender Bag eine Rotweinflasche. Ich rechne fast schon damit, dass er zwei Gläser herausholt und mir auch eins anbietet. Er entkorkt jedoch die Flasche, setzt an und zieht sie fast halbleer. Ich hoffe insgeheim, dass er mit einem französischen Akzent einen Kommentar zum Wein abgibt.  

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Ausweis-Epos