Blutspende
und Regenwald
Diesen Blogeintrag widme ich
einem Ort, an dem ich zunehmend mehr Zeit verbringe. Es ist ein Ort, an dem
viele Menschen zusammenfinden, an dem Freude und Leid so nah beieinander liegt
wie sonst nirgendwo, wo Träume entstehen und laut platzen – richtig es geht um
die Universitätsbibliothek.
Kleine Bibanekdoten hat jeder
in der Hinterhand. Um die Originalität dieses Blogs beizubehalten, werde ich
wieder über meinen letzten Aufenthalt dort detailverliebt und wahrheitsgetreu
berichten. Aber der Tag startet schon früher an anderer Stelle. Eines der
größten Probleme, das sich mir in letzter Zeit auftat, waren meine zu schnell
wachsenden Haare und mein zu schnell verschwindendes Geld. Die Lösung für
beides fand ich in der Transfusionsmedizin der Uniklinik – Ich spende einfach
Blut und gehe mit dem Geld zum Friseur. Ich bin noch nicht lange im
Blutspendebusiness, aber seit zwei Jahren doch recht regelmäßig dort.
Wiedererkennen tut mich trotzdem nie eine der Krankenschwestern. Wer kann es
ihnen auch verübeln: Knapp 1,90m groß, dunkle Haare, meine Beschreibung passt
auf 90% aller Täterprofile von Verbrechen in Deutschland. So also auch dieses
Mal als ich fröhlich durch die Glastüren spaziere und allgemein einen „Guten
Morgen“ wünsche. Vereinzelndes Grinsen schlägt mir entgegen, ich setze mich
hin. Es ist zwölf Uhr mittags. Neben mir sitzen zwei quasi Bekannte. Ich kenne
sie natürlich nicht wirklich, aber sie trainieren im selben Fitness-Studio wie
ich. Es ist offensichtlich ihre erste Spende und der Fragebogen stellt sie vor
teilweise größere, teilweise kleinere Probleme. Sicher ist jedoch, dass jede
Frage laut vorgetragen und kommentiert wird. Die Möglichkeit des Ausfüllens des
Fragebogens in Anonymität in der Ecke des Raumes scheint plötzlich
unglaubwürdig. Nach dem ich wenig später unfreiwillig über nicht-vorhandene
neue Geschlechtspartner in den letzten vier Monaten meiner Kumpanen Bescheid
weiß, werde ich zum Vorcheck gerufen. Verwunderlicher weise vor den beiden
neben mir, die schon am Ausfüllen waren als ich den Raum betrat. Es geht alles
fix über die Bühne und ich warte auf die ärztliche Voruntersuchung, wo vor
einer Woche wegen eines winzigen Schnitts in meinem linken Zeigefinger Schluss
für mich war. Jetzt wird doch einer meiner Sitznachbarn vor mir in eben diese
Untersuchung gerufen. Anscheinend war ihm nicht in aller Gänze klar, wo er
jetzt hinmuss. Zielsicher steuert er in den Spendesaal, den er wenig später
wieder mit den Worten „Nichts für Ungut!“ verlässt und nimmt nun die richtige
Tür. Wieder nach kurzer Zeit kommt er heraus, nur um direkt wieder in den
Spendesaal zu laufen. Man hört ein „Was wollen Sie denn schon wieder hier?“
einer Krankenschwester, ein erneutes „Nichts für Ungut!“, er kommt wieder
heraus, setzt sich. Sein Kollege ist derweil spurlos verschwunden, was ihn
nicht sonderlich stört. Das weitere Blutspenden läuft unspektakulär ab. Ich
trinke einen zu süßen Eistee, aus meinem Arm läuft Blut, Krankenschwester
Monika regt sich über Dienstpläne auf. Mit den frischerstandenen 20EUR geht es
zum Friseur. Ich soll in einer halben Stunde wiederkommen, tue ich auch. Platz
genommen will ich einen kleinen Scherz machen, dass ich extra Blutspenden
musste, um mir die Haare schneiden zu lassen. Mein Friseur schaut mich
mitleidig an und hält einen Vortrag über Menschlichkeit und, dass ich in
finanziellen Nöten auch gar nichts bezahlen müsste. Den weiteren Friseurbesuch
verbringe ich mich schämend vor dem Spiegel während meine Haare wieder in Form
gebracht werden.
Ein Mittagessen und zwei
Kaffee später geht es dann auch endlich in die Bibliothek. Ich bin so spät da,
dass schon wieder die ersten gehen und ich bekomme sofort einen Korb und
Sitzplatz am Geländer. Zunächst irritiert mich das rauschende Geräusch weniger
als der Schweißgeruch der Person vor mir. Bei den Lernwilligen um mich herum
setzt doch langsam ein reges Treiben ein. Die Antwort auf die allgemeine Unruhe
findet sich im dritten Stock. Ein Teil der Sprinkleranlage hat sich entschieden
sämtlichen verstaubten Werken der Medizin eine kleine Abkühlung zu genehmigen. Es
herrscht Heiterkeit. Mit den subtropischen Temperaturen, dem rauschenden Wasser
und der allgemeinen Geschäftigkeit um mich herum komme ich mir etwas wie im
Regenwald vor. Meine Gedanken schweifen ab, ich wechsle den Platz. An meinem
neuen Platz bin ich fast völlig alleine. Fast impliziert natürlich, dass noch
eine weitere Person in der Nähe saß, die sich aber zunächst unauffällig
verhielt. Nach 20 Minuten seliger Ruhe klingelt sein Handy. Er geht auch
sogleich ran. „Nene passt schon, bin in der Bib.“. Mit diesen Worten wird ein
kleines Gespräch über die Abendplanung eingeleitet, es ist ja schließlich auch
Freitag. Anschließend stellt er die Musik in seinen Kopfhörern so laut, dass
ich sie auch vier Meter weiter noch mithören kann. Ich überlege meine Kopfhörer
aufzusetzen, erinnere mich an meine noch gestylten Haare und lasse es bleiben. Mit
zunehmender Uhrzeit schwindet auch meine Motivation und ich kapituliere
letztendlich als eine der Bibliotheksfrauen hinter mir vorbeischleicht und die
Stühle an den Tisch schiebt und sich anschließend etwas auf einem kleinen
Zettel notiert. Ich verlasse den kleinen Regenwald und stehe wieder im kalten Ostseewind
vor dem Glasgebäude. Morgen hast Du mich schon wieder UB!
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