Wohnheim München - Schmelztiegel der Außergewöhnlichkeiten

Meine Zeit in München ist limitiert auf sechs Wochen. Der Wohnungsmarkt in der Freistaat-Metropole ist ungefähr vergleichbar mit dem Sportangebot an der Uni. Man loggt sich ein, sieht die wunderbaren Angebote, klickt drauf und es ist ausgebucht. Wunderbarerweise habe ich für mich den Zeitraum ausgewählt, in dem ein nicht unwesentliches Dorffest in der Stadt stattfindet, genauer gesagt: Oktoberfestzeit. Mit den also besten Voraussetzungen startete ich meine Wohnungssuche und bemühte mich, etwas Agenturnahes zu finden, um meine morgendliche Praktikumsfahrt in ertragbaren Grenzen zu halten. Dieser Vorsatz hielt exakt eine Minute und zwei wggesucht-Einträge. Deutlich realistischer an die Sache rangehend, vertagte ich erstmal das Wohnungsproblem in die Zukunft. Wie es klassisch ist für solche Fälle, kam mir der Zufall zu Hilfe. Der Freund einer Freundin einer Freundin studierte in München und hätte ein Zimmer für mich. Es sei zwar klein, dafür aber günstig. Der Stadtteil sagte mir nichts, wie mir jeder beliebige Stadtteil in München nichts gesagt hätte. Stattdessen bekam ich nur einen Kontakt zugesendet, den ich einfach mal anrufen sollte. Blindtelefonate sind nur leider überhaupt nicht meine Leidenschaft und meine Hoffnung, dass der gesendete Kontakt zu den eifrigen WhatsApp-Benutzern gehörte, bestätigte sich umgehend. Um die Vorgeschichte hier nicht ins Endlose gleiten zu lassen: wir einigten uns ziemlich schnell darauf, dass ich das Zimmer nehmen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass die ganze Untervermietungsaktion nicht hundert Prozent legal abläuft, lasse ich Namen zur Vermeidung der Wiedererkennung aus dem Spiel.

Die erste Woche meines Praktikums ist um und das Leben im Wohnheim gestaltet sich äußerst trist. Nach sechs Tagen habe ich es immerhin geschafft gehabt, dass das Internet auch auf meinem Laptop funktionierte. Der „Internetverantwortliche“ des Wohnheims hatte mir es sogar persönlich eingerichtet, da ich schlichtweg zu blöd war. Als Dank stellte ich zwei Bier aus dem wunderbaren Bierautomaten des Wohnheims vor seine Tür mit einem kleinen Zettel dazu „Merci für das Internet!“ – man versucht sich ja zu integrieren. Der Versuch gelang sogleich und ich bekam noch einen Zugang zum Wohnheimserver mit den aktuellsten Filmen und Serien. Die Zeit in München schien gerettet. Und so kam es, dass ich nach einem eher mäßig erfolgreichen Praktikumstag in mein Zimmer kam, eine Serie anmachte und frühestmöglich schlafen wollte. Doch für mich waren andere Pläne vorgesehen.

Ich liege also auf meinem Bett, das by the way das halbe Zimmer ausfüllt (nicht weil das Bett so groß, aber das Zimmer so klein ist), als es selbst durch meine Kopfhörer deutlich hörbar an meiner Tür klopft. Ich vermute, dass es der Internetspezialist ist, mein bisher einziger Kontakt im Wohnheim, und versuche möglichst locker klingend hereinzurufen. Meine Vermutung erweist sich im ersten Bruchteil des Eintretens als falsch. Ein großer Mann, Mitte/Ende zwanzig in schwarz-rotem Jogginganzug steht im Raum. Er scheint einen kurzen Moment ähnlich irritiert zu sein wie ich. Dann haut er sich gegen die Stirn und sagt mehr zu sich selbst: „Ahh scheiße, der ist ja gar nicht da!“. Jetzt erkenne ich den Fremden auch, er ist auf einigen von den Fotos zu sehen, die eine ganze Wand tapezieren. Er kommt zu mir und gibt mir die Hand. „Weißt Du wie das mit dem Kochen heute abläuft?“. Er schaut mich dabei fragend an. Mir geht durch den Kopf, dass seit einer Minute ein Fremder in meinem Zimmer steht, von dem ich nicht einmal den Namen weiß, geschweige denn welches „Kochen“ er meint, verneine jedoch schlicht. „Sind das Deine Kekse?“, ich fordere ihn auf einen zu nehmen und er freut sich, bricht jedoch irgendwie den Keks durch und eine Krümellawine rollt über den Schreibtisch. „Ist ja zum Glück nicht Dein Zimmer.“. Dann holt er sein Handy raus und beginnt zu telefonieren, ich liege immer noch in meinem Hoddie und meiner Jogginghose auf dem Bett daneben und betrachte das Szenario. „Ne der“ er unterbricht sein Telefonat und dreht sich zu mir „Wie heißt Du eigentlich?“, „Niklas“, „Ne der Niklas weiß auch nicht wie das mit dem Kochen abläuft, wann kommt ihr denn?“. Ich stoppe derweil meine Serie, die still im Hintergrund weitergelaufen ist und vermute, dass sich der Irrtum aufgeklärt hat und ich meinen ruhigen Abend fortsetzen kann. In diesem Moment steht Der Trainingsanzug auch auf und schlendert Richtung Tür. Ich wünsche ihm noch kollegial einen schönen Abend als er stehen bleibt „So schnell wirst Du mich nicht los, ich komme gleich wieder.“. Ich bin etwas verlegen, setze aber einfach wieder meine Kopfhörer auf als er die Tür schließt und schaue meine Folge zu Ende. Kaum geschehen öffnet sich meine Tür wieder. Der Freund der Freundin der Freundin in dessen Zimmer ich wohne, steht plötzlich im Raum. Ich freue mich über das bekannte Gesicht und begrüße ihn kameradschaftlich, damit unser Fake-Freunde-Alibi für das Wohnheim weiterhin bestehen bleibt. Er wäre zufällig in der Nähe, was insofern bemerkenswert ist, da er zwei Stunden von München entfernt wohnt. Ich werde über die Kochvorhaben aufgeklärt und bekomme ein Bier in die Hand gedrückt. Keine schlechte Abendwendung denke ich mir, als plötzlich weitere drei Personen das Zimmer betreten. Ich bin kurzzeitig massiv beeindruckt, dass drei Personen überhaupt auf den 9,25qm stehen können. Der Freund der Freundin der Freundin hat sich mit auf's Bett gelegt, wir sind ja schließlich Gute-Schein-Freunde. Ich werde allen vorgestellt und wir wandern zu einem Tisch der am Ende des Flurs steht. Die Namen meiner Sitznachbarn könnten allesamt aus einem Manta-Manta-Film stammen. Verwunderlich, dass mich alle brav Niklas nennen. Es entbrennt kurzzeitig eine Diskussion, ob es vertrebar wäre im Flur zu rauchen, die Entscheidung wird jedoch abgelehnt. Es finden den ganzen Abend über kleine Wanderungen zu einem Balkon beim Treppenhaus statt. Das gemeinsame Kochen der Gruppe beschränkte sich darauf, dass die Freundin vom Mann im Trainingsanzug ein überdurchschnittliches Essen aus der bescheidenen Küche zauberte (Ich habe über den Ausdruck „rustikale Küche“ nachgedacht, allerdings ist das einzig rustikale in der Küche ein halbabgebrannter Toaster). Wie es sich für den Freistaat gehört, wird rasendschnell ein Bierkasten organisiert und mir wird ein durchaus witziges Kartenspiel beigebracht, was sich „Golfen“ nennt. Leicht angekesselt nach drei Bier verlasse ich gegen Mitternacht die Runde Richtung Bett. Kaum ist das Licht aus geht die Tür auch wieder auf. „Hast Du noch Tabak?“, „Ich rauche nicht.“, „Ah Scheiße stimmt, egal ich brauch nur das Gerät.“. Der Freund der Freundin der Freundin kramt in der Schublade unter dem Schreibtisch herum und holt ein Kippen-Dreh-Apparat heraus. Die Tür ist wieder zu, ich schlafe mit Ohropax präpariert ein. Als ich gegen drei aufwache, verspüre ich einen starken Harndrang. Ich taumle lichtscheu auf den Flur. Am Tisch ist immer noch Halli-Galli-Stimmung. Der Trainingsanzug muss auch auf die Toilette. Ich frage bei welchem Loch sie mittlerweile angekommen sind (Das Spiel Golfen wird ordnungsgemäß auf 9 oder 18 Löchern gespielt.). „13, das hat sich irgendwie in die Länge gezogen alles.“, ich verabschiede mich wieder, bei Loch neun war ich ins Bett gegangen.

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